Was bedeutet für Sie nachhaltige Unternehmensführung?
Für mich ist das eine Unternehmensführung nach einer klaren Strategie, welche die Kriterien einer „starken Nachhaltigkeit“ in allen Unternehmensentscheidungen und Produkten berücksichtigt: Ressourcennutzung nur in einem Maß, in welchem auch Regeneration stattfindet bzw. geschlossene Stoffkreisläufe, Respekt der Aufnahmekapazität der Umweltmedien bezüglich der Schadstoffemissionen; faire Herstellungs- und Arbeitsbedingungen über die gesamte Lieferkette. Wenn Unternehmen dies berücksichtigen, dann können auch künftige Generationen vergleichbare Ausgangsbedingungen vorfinden, wie wir sie für unser Leben hatten – das ist das Haupttheorem der Nachhaltigkeit.
Seit 25 Jahren beraten Sie Unternehmen zum Thema „Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein“. Haben sich nach Ihrer Erfahrung die Unternehmen in dieser Zeit verändert?
Oh ja, deutlich. Das Thema Umweltschutz ist von einer Randpriorität einzelner Aktivisten zum etablierten Konsens geworden – zumindest in Europa ist Umweltbewusstsein in den Politiken und Ausrichtungen der Unternehmen angekommen; Umweltmanagement gehört für größere und mittlere Unternehmen in nahezu allen Branchen zum guten Ton. Das hat in manchen Umweltkompartimenten wie Luftreinhaltung oder Gewässerqualität auch schon zu messbaren Verbesserungen geführt. Soweit die gute Nachricht.
Die Kehrseite der Medaille ist leider, dass sich Umweltschutz oftmals auf das beschränkt, was wir hier wahrnehmen. In vielen Fällen wurden Umweltbelastungen in die Lieferkette verlagert, durch fortschreitende Globalisierung heißt das: Auf andere Kontinente. Nur eins der vielen Beispiele aus meinem Buch: Der Nettoverlust der weltweiten Waldflächen betrug im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts 5,2 Millionen ha im Jahr; die Rinderzucht, Papierproduktion, Palmöl- und Sojaanbau sind die größten Bedrohungen für die Wälder – und damit ein Treiber des Klimawandels. Die Aussterberate (allein welch furchtbares Wort!) wird von Experten auf mehr als 100 Mal, vielleicht gar 1.000 Mal höher berechnet, als ohne menschlichen Einfluss. All dies wird leider in vielen Unternehmen in der Strategie nicht mit berücksichtigt – das ist oft nicht mal böser Wille, sondern Mangel an Erkenntnistiefe: Man meint, mit einem zertifizierten Umweltmanagementsystem und den Energieeffizienzverbesserungen und Abfallvermeidungsmaßnahmen hier in Deutschland viel getan zu haben und stellt sich als umweltfreundliches Unternehmen dar. All diese Maßnahmen hier sind sehr wichtig, für echte Nachhaltigkeit ist aber eine Gesamtbetrachtung erforderlich.
Stoßen Sie bei Ihrer Arbeit auf Widerstände – und wenn ja, auf welche?
Ja und nein. Meine Anregungen und Hinterfragungen werden durchaus ernst genommen. Widerstände gibt es manchmal seitens der Marketingabteilungen, die manch überflüssigen Materialaufwand als verkaufsfördernd und damit notwendig erachten oder seitens des Beschaffungswesens, für welches meine Anforderungen bezüglich der Informationen aus der Lieferkette natürlich sehr viel Arbeit bedeutet. Widerstände gibt es natürlich auch, wenn mehr Nachhaltigkeit eine erhebliche Umgestaltung der Produkte oder des ganzen Geschäftsmodells bedeutet. Man darf nicht vergessen: Mit vielen Produkten, die nicht wirklich nachhaltig sind, wird viel Geld verdient und davon profitieren hier viele Arbeitnehmer – durch Gehälter, Bonuszahlungen oder Jobsicherheit. Das umzugestalten erfordert Weitsicht, eine langfristige Strategie und auch Mut. Den hat nicht jeder. Aber es gibt auch tolle Beispiele von Unternehmen, die sich in Richtung einer starken Nachhaltigkeit aufstellen, das macht Hoffnung.
Wie sollte ein mittelständisches Unternehmen mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ umgehen – oder ist das nicht eher etwas für kleinere Biounternehmer?
Klares Nein, das Thema geht jedes Unternehmen an. Ein kleines Biounternehmen oder der klassische Ökoladen mit regionalen, saisonalen Bioerzeugnissen ist doch per se nachhaltig. Notwendig sind Veränderungen in Unternehmen der „klassischen“ Branchen. Und das „wie“ ist unabhängig von Branche und Größe: Sorgfältige Bewertung des bestehenden Geschäftsmodells in Bezug auf die nachhaltige Entwicklung, Selbstkritische Beantwortung der Frage, welche Teile der eigenen aktuellen Wertschöpfungsprozesse nicht nachhaltig sind und dann die Beantwortung der Frage, wie ein in Richtung Nachhaltigkeit verändertes Geschäftsmodell aussehen kann.
Für diesen Prozess liefert mein Buch Hintergrundwissen, Ideen und Checklisten. Anwendbar sind diese für den Betrieb mit 20 Mitarbeitern bis zum Konzern.
In welchen Branchen wird Ihrer Meinung nach die „Green Economy“ bereits erfolgreich praktiziert?
Die Antwort ist eigentlich nicht abhängig von der Branche, sondern einzig und allein vom Unternehmen. Natürlich gibt es z. B. im Bereich der Nahrungsmittel und auch bei Bekleidung schon spezielle Anbieter, die wirklich im Sinne einer starken Nachhaltigkeit agieren, während es bei Konsumelektronik noch echt schwierig bis unmöglich ist, wirklich nachhaltige Produkte zu finden.
Wichtig ist auch das Konsumentenverhalten: Je mehr Konsumenten auf Herkunftsdeklaration, Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit achten, desto höher wird der Handlungsdruck auf Unternehmen. Aufklärung und Information ist daher wichtig. Nehmen Sie den Nahrungsmittelsektor: Natürlich ist eine regionale und fleischarme Ernährung im Grundsatz umwelt- und klimafreundlicher als hoher Fleischkonsum. Wenn aber ein überzeugter Veganer regelmäßig – vielleicht ohne es zu wissen – Produkte mit viel Palmöl konsumiert, dann ist sein Verhalten vermutlich klimaschädlicher als jenes eines bewussten Konsumenten, der ab und zu ein Schnitzel vom Biohof aus der Region isst. Hingucken und Hinterfragen ist wichtig.
Die deutschen Unternehmen sind doch schon umweltbewusster geworden. In Peking wurde in diesen Tagen die höchste Smog-Alarm-Stufe ausgerufen. Sind jetzt nicht eher Länder wie China oder die USA gefordert?
Doch, natürlich müssen China und die USA auch etwas tun; das wird auch erfolgen, denn die Zustände in China werden von den Menschen auch dort nicht klaglos hingenommen. Auf dem Klimagipfel in Paris waren nach meinen Informationen übrigens Saudi Arabien und Indien die Hauptgegner eines ambitionierteren Abkommens. All das entbindet uns aber nicht von unserer Verantwortung: Ein „wir haben in Deutschland viel getan, jetzt sind mal die anderen dran“ wäre ein völlig falsches Signal und auch sachlich nicht angemessen. Wir haben einen der höchsten Lebensstandards der Welt und tragen mit unserem auf fossiler Energie basierenden Lebensstil und unserem Konsumverhalten erheblich zu den Umweltbelastungen der Welt bei – deutlich mehr als der durchschnittliche Inder oder Chinese. Weiterhin werden in Deutschland unverändert überdurchschnittlich viele Waren und Güter produziert, unverändert gehören wir zu den führenden Exportnationen. Also sind wir – und damit auch deutsche Unternehmen als Importeure und Exporteure – weiter gefordert.
Inzwischen wird auch Kritik an der „Green Economy“ laut. Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein passen anscheinend nicht mit wirtschaftlichem Erfolg zusammen. Wie sehen Sie das?
Die Kritik an der Green Economy, die aktuell laut wird, richtet sich gegen eine falsch verstandene Green Economy und nicht per se gegen eine nachhaltige Wirtschaftsweise. Wie so vieles ist auch dies also eine Frage der Definition dessen, was man als Green Economy bezeichnet. Der Kritik, wie sie unlängst mehrfach geäußert wurde, kann ich mich fast vollumfänglich anschließen und sie steht auch nicht im Widerspruch zu meinem Buch. Es ist eine Fehlinterpretation der Green Economy, wenn wir Bionahrungsmittel kaufen, aber mit dem SUV durch die Stadt fahren, wenn wir Bio-Rindfleisch aus Argentinien essen, für dessen Weideland der Regenwald abgebrannt wurde, alle 6 Monate ein neues Handy haben wollen, auch wenn es noch so viele Umweltattribute hat oder wenn jemand Tops und Hosen aus Biobaumwolle kauft, aber aus Modegründen pro Saison 20 Stück davon meint zu benötigen. Auch Green Growth, also der Versuch, hinter grünen Attributen den Verbrauch von noch mehr Ressourcen zu rechtfertigen, halte ich für einen fehlgeleiteten Versuch. Wenn überhaupt, dann muss die grüne Ökonomie zu einem umweltqualitativen Wachstum führen.
Ich bin überzeugter Unternehmer und hierin ganz fest: Eine maßvolle, faire und umweltrespektierende wirtschaftliche Prosperität ist kein Widerspruch zur Nachhaltigkeit, sondern Voraussetzung dafür. Wer notleidend oder gar hoffnungslos ist, hat keine Motivation die Umwelt oder die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu schützen. Also ganz klar: Ein maßvoller Wohlstand ist Bedingung für Nachhaltigkeit und das Maß, das ist das, was in den Industrienationen zum Teil verloren gegangen ist.
Ich habe in meinem Buch klare Kriterien aufgestellt, was ich unter starker Nachhaltigkeit und einer echten Green Economy verstehe und auch einen Definitionsansatz über Randbedingungen für Produkte formuliert, die das Attribut „nachhaltig“ auch tatsächlich verdienen – ich glaube, dass sich in diesen Definitionen auch die aktuellen Kritiker der „Green Economy“ wiederfinden.
Sie haben ein Buch zum Thema „Green Economy“ geschrieben. Was hat Sie zu diesem Buch motiviert?
Die Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung und der Green Economy werden in sehr vielen Unternehmen nach meiner Wahrnehmung immer noch hauptsächlich von Experten bearbeitet, fließen aber zu wenig oder mit zu geringer Kraft in die strategischen Überlegungen und Unternehmensentscheidungen ein.
Die Führungskräfte anderer Bereiche außerhalb der Fachabteilungen, also Unternehmer, Vorstände, Geschäftsführer, Marketingleiter, Entwicklungsleiter, Vertrieb und Personaler nehmen das Thema kaum wahr und haben die Bedeutung, aber vor allem die darin liegenden Chancen bislang nicht erkannt – das war für mich die entscheidende Triebfeder.
Unternehmen tragen beim Gelingen einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft nicht nur eine Mitverantwortung, sie haben sogar neben den Konsumenten die tragende Rolle. Nur wenn Unternehmen nachhaltige Produkte und Dienstleistungen entwickeln und mit hoher Verfügbarkeit und Glaubwürdigkeit an den Markt bringen, kann eine nachhaltige Gesellschaft auch gelingen.
Wer sollte das Buch lesen?
Meine Adressaten sind jedwede Führungskräfte aller Branchen – gerade jene, die nicht zu den Fachabteilungen gehören. Das Neue an meinem Buch ist die Zusammenstellung und die Darstellung der Zusammenhänge der nachhaltigen Entwicklung mit ihrem Einfluss auf Geschäftsmodelle, die Checklisten und die Möglichkeit daraus eine Strategie zu entwickeln. Ich glaube, aus diesem Buch kann jede Führungskraft neue Perspektiven, Impulse und Ansätze für neue Strategien erhalten.
Was kann denn ein Buch bewirken? Ist das nicht ein langwieriger Veränderungsprozess, der nur mit persönlicher Beratung funktionieren kann?
Langwieriger Veränderungsprozess ja, nur mit persönlicher Beratung nicht unbedingt. Wissen Sie, am Anfang steht immer die Erkenntnis, dass man etwas verändern sollte, danach Mut und Entschlossenheit. Wenn ich das mit dem Buch erreiche, dann ist das viel. Ob einzelne Unternehmen dann in Spezialfragen individuelle Beratung brauchen, das müssen sie dann im Einzelfall entscheiden.
Langwierig ist das auf jeden Fall – ein bestehendes Geschäftsmodell so umzubauen, das ist kein Prozess von ein paar Monaten. Aber ich bin da hoffnungsvoll: Das Thema gewinnt an Bedeutung und am Ende wird die entscheidende Frage sein, ob die bewussten Konsumenten oder jene die Oberhand gewinnen, die da sagen „Mir egal wie es künftigen Generationen oder Menschen in anderen Weltregionen geht, Hauptsache ich habe ein bequemes Leben und schöpfe aus dem Vollen.“. Wenn man jedoch bedenkt, dass einer der Auslöser der Krise in Syrien eine klimawandelbedingte Dürre in den Jahren 2007 bis 2010 war, dann weiß man, was uns unser Lebensstil kostet. Selbst wenn jemand sehr egoistisch denkt und ihm das Wohlergehen bzw. Leid fremder Dritter reichlich egal ist (eine Haltung, die ich nicht teile, aber die eventuell Mancher hat) müsste er aus reinem Selbstschutz beginnen, im Sinne von Klimaschutz und mehr Gerechtigkeit zu handeln.
Mal ehrlich, leben Sie selbst auch umweltbewusst und möglichst nachhaltig, oder trinken Sie nicht doch ab und an Ihren „Kaffee to go“ aus einem Plastikbecher?
Ich achte auf regionale, saisonale und fleischreduzierte Ernährung, wähle Produkte wenn möglich sehr bewusst fair, langlebig und reparaturfreundlich aus, nutze möglichst viele Mehrwegsysteme und decke meine Mobilität möglichst oft mit Bahn und Fahrrad und fahre wenn schon Auto einen Plug-in-Hybrid mit Ökostrom. Dennoch: Mangels Angebot ist ein wirklich nachhaltiges Leben nicht einfach, sofern man voll an unserer Gesellschaft teilnehmen will und sich nicht als Selbstversorger in einer Nische einrichtet. Gerade deshalb ist der Wandel von Unternehmen so wichtig. Das mit dem „Kaffee to go“ ist übrigens ein guter Punkt: Natürlich trinke ich den auch ab und zu und ärgere mich, dass es mir unlängst passiert ist, dass ein Verkaufstand meinen Mehrwegbecher nicht auffüllen wollte – angeblich aus hygienischen Gründen. So ein Quatsch! Und um ganz ehrlich zu bleiben: Na klar, wenn ich auf dem Hauptbahnhof auf Dienstreise den Zug wechsele und Lust auf einen heißen Kaffee habe, dann trinke auch ich den aus dem Einwegbecher, wenn ich meinen eigenen gerade nicht dabei habe.
Dr. Ralf Utermöhlen führt mit 19 Mitarbeitern die Umweltberatungsgesellschaft Agimus GmbH mit Sitz in Braunschweig. Er ist Vizepräsident der IHK Braunschweig und engagiert sich im Umwelt- und Energieausschuss des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Utermöhlen ist Autor zahlreicher Fachbeiträge und gefragter Redner rund um die Themen „Nachhaltigkeit und Green Economy“.
Dr. Ralf Utermöhlen
Was jede Führungskraft über Green Economy und nachhaltige Entwicklung wissen sollte
Nachhaltigkeitsmanagement in der Praxis
Originalausgabe
Hardcover mit Schutzumschlag, 278 Seiten
€ 28,90 (D)
ISBN 978-3939301-01-1
Verlag der WelfenAkademie